Pure Almuthion!

Spielbericht zum AFBL-Spiel VFL Wolfsburg gegen Turbine Potsdam am 15.10.2017 – von Susanne Lepke

Goldenes Oktobersonnenwetter herrschte vor, während und nach dem Spitzenspiel zwischen den Raubtieren (Wölfinnen) und den stechenden Insekten (Torbienen). Weit nach dem Ausschlafen startete der Fanbus, diesmal in XL-Ausgabe, um 10.45 Uhr in Potsdam. Vollbesetzt, mit dem wieder genesenen Fanbuskoordinator an Bord, dazu gesellten sich zur üblichen getreuen Fanbusschar vier weibliche Newcomer: Zwei Frauen aus Berlin und zwei schwedische Freundinnen von Amanda Ilestedt. Natürlich allesamt herzlichst übers Busmikrofon begrüßt und beklatscht.

Die kurze Anreise wurde durch zwei Baustellenstaus ausgedehnt, sodass auf die traditionsreiche Pullerpause verzichtet werden musste. Der „Drang“ am Stadioneingang war somit groß.

2041 Zuschauer, mit der entsprechenden Frauenfußballneugier ausgestattet, unternahmen den Sonntagsausflug ins AOK-Stadion, darunter natürlich „10.000 Turbinefans“, so der spontan einsetzende Fangesang nach der Verkündung der Zuschauerzahlen durch den schnellsprechenden Stadionsprecher.
Das VfL-Vereinsmanagement hatte sich eine besondere Begrüßungsgeste für die Potsdamer Fans einfallen lassen: 50 Eintrittskarten zum ermäßigten Preis. Mit 5 Euro war man dabei – und ca. 20 Turbinefans profitierten aufgrund der Altersstruktur auch tatsächlich davon😊

Empfangen von netten Ordnungskräften (keine Ironie) gerieten die Potsdamer Fans auf einen Irrweg und standen mit ihren Platzkarten im diagonal gegenüberliegenden falschen Block. Ein „W“ stand auf der Karte, ein „O(hhh)“ hätte es sein müssen. Aber die Ordner ließen Gnade vor Recht walten und gestatteten den zahlreich erschienenen Turbinefans das Platznehmen im falschen Block. Mürrische Wolfsburg-Fans, die nun ihr Recht auf ihren nummerierten Platz inmitten des blauen Blocks bestanden, ließ man natürlich freundlichst gewähren, aber spätestens nach dem Einsetzen der seichten Trommelklänge flüchteten diese „rechtmäßigen“ Besucher in all die leeren Reihen um sie herum.

Bei der Verkündigung der Mannschaftsaufstellung gewährte der Stadionsprecher den Fans wiederholt keine Chance zum Mitsprechen der Spielernamen. Im Eiltempo ignorierte er den gewöhnlichen Wunsch der Gästefans und hechelte im Mordstempo die Spielernamen herunter. Sei’s drum, in Gütersloh war’s diesbezüglich eine Woche zuvor dreimal so schön.

Das AOK-Stadion ist insgesamt eine hübsche und moderne Stätte. Alles im zarten Frühlingsgrün gehalten, selbst der Rasen ist grün. Einziges Manko ist das Sitzplatzgefühl auf der Gegentribüne, denn hier fühlt man sich eher wie bei Ryanair als bei der Lufthansa. Setzt man sich tatsächlich auf den Sitzplatz, versperrt ein fulminantes Stahlgestänge den Blick aufs Spielfeld. Aber bei solch einem Spitzenspiel sitzt man ja eh nicht…
Faszinierend – oder auch unverständlich – war aus Potsdamer Sicht, dass das Flutlicht während der gesamten Spielzeit mit der Nachmittagssonne um die Wette strahlte, während z.B. die Potsdamer Nikolaikirche bei Nacht nur erahnt werden kann.

Im Gegensatz zu diesem Lux-us stand das kulinarische Versorgungskonzept des Stadions. Man durfte hier in der Halbzeitpause auf keinen Fall plötzlichen Durst oder Hunger verspüren, schon gar nicht bei der heftigen Oktobersonneneinstrahlung von gefühlten 25 Grad. Denn dann wird man jäh von einer langen Warteschlange vor dem einzigen Kioskangebot ausgebremst und muss mit trockener Kehle irgendwann eine wichtige Entscheidung treffen: zweite Halbzeit gucken oder weiterhin auf den Durstlöscher hoffen?

Nun aber zum Spiel:

Dass Potsdam nicht Madrid ist, sollte der Autostadt auf jeden Fall klargemacht werden. Nach dem Kantersieg von 12:2 beim CL-Spiel in Wolfsburg gegen Athletico Madrid galt es nun, aufklärerische und erdende Saiten aufzuziehen. Turbine Potsdam besuchte als Tabellenfünfter den bisher ungeschlagenen Tabellenersten, der bis zum heutigen Spieltag noch kein einziges Gegentor kassiert hatte.

Kaum ertönte der Anpfiff, begann der Schlagabtausch. Ein kampfbetontes Spiel entspann sich, die Torbienen waren hellwach (deren Fans auch) und Wolfsburg benötigte sieben Minuten, um zum ersten Angriff zu kommen. Weitere sieben Minuten später klingelte es leider im Potsdamer Tor. Lisa Schmitz, die im weiteren Spielverlauf etliche Glanzparaden vorm Tor und ganz weit vorm Tor zeigte, war hier eigentormäßig vom Pech verfolgt – und Anna Blässe wurde in den Medien als Torschützin gefeiert. Im Stadion gab es dazu keine Ansage.
Aber es dauerte keine weiteren sieben Minuten, sondern nur lächerliche sechs, als Potsdam antwortete und die, heute in Bestform aufspielende Tabea Kemme für den Ausgleich sorgte.

1:1 zur Halbzeitpause – völlig passend und spielspannend hoch zehn. Die Sonne und die trockene Kehle taten ihr Übriges. Ein begeisterndes und ausgeglichenes Spielgeschehen – und die interviewte Wob-Person sprach in der Halbzeitpause von einem „Ich hoffe auf ein 2:1“ – Betonung auf „hoffen“. Die Demut kehrte in Wolfsburg ein, nachdem das erste Gegentor der Saison kassiert worden war.

Auch die zweite Halbzeit belohnte alle Frauenfußballfans im Stadion oder vor den drei spielübertragenden Fernseh- oder Internet-Kanälen. Hier konnte man heute richtig fette Werbung für den Frauenfußball genießen.

Nach einem Potsdamer Abwehrfehler gingen die Wölfinnen wieder in Führung, als Harder in der 73. Minute für das 2:1 sorgte. Aber Potsdam -wie gesagt, nicht Madrid- benötigte diesmal nur vier Minuten um zu antworten. Frech und athletisch elegant rappelte sich Tabea Kemme, die gemeinsam mit der Torhüterin Almuth Schult am Boden lag, als erste wieder auf und umspielte Schult – ein Tor mit Seltenheitswert. Jedenfalls außerhalb von Wolfsburg. Die Fans jubelten euphorisch und sangen „Danke, Almuth, danke!“ Na ja, das ist nicht so schlimm wie der „Almuth hat den Ball“-Gesang, den der damalige Cheftrainer von Potsdam stark kritisiert hatte. Oder?
Nach diesem Ausgleichstor jaulten die Wölfinnen auf und legten eins drauf. Jetzt begannen über zehn Zitterminuten, die aus Potsdamer Sicht kaum auszuhalten waren. Wolfsburg ballerte unentwegt auf Lisas Gehäuse – und vergab glücksselig eine Chance nach der anderen. Selbst der Pfostenknaller litt unter einen falschen Winkelberechnung, sodass der Ball wieder aufs Spielfeld hüpfte. Erst in den letzten Spielminütchen fand auch Potsdam wieder den Weg in die gegnerische Hälfte und ließ den einen oder anderen kühnen Fan-Gedanken auf ein 3:2 aufkeimen.

Nach nur (zum Glück!) einer Nachspielminute entdeckte die Schiedsrichterin ihre Pfeife und die Jubelei brach los. Ein Unentschieden kann sich unterschiedlich anfühlen. Gegen Bremen erschien das Pünktchen wie eine gefühlte und frustrierende Niederlage, gegen Wolfsburg jedoch wie ein Sieg!
Pure Almuthion!

Potsdam ist nun in der Tabelle noch einen Platz weiter abgerutscht – aber die Fans sind beseelt. Unglaublich – oder? Weil Potsdam eben nicht Madrid – und schon gar nicht Wolfsburg ist.

Auf der Rückfahrt gab es nach all dem Angestoße auch eine Geldsammlung für den Nachwuchsbereich von Turbine Potsdam. Die Spendendose trug aufrecht und wacker das Torwartmädchen Celine aus der E bzw. D-Jugend durch den Mittelgang des Fanbusses – und sage und schreibe kamen 300€ zusammen!

Danke, Fans!

Nun steht eine Länderspielpause an. Am 30. Oktober sehen wir uns wieder, zum Heimspiel gegen Frankfurt. Schauen wir mal. Aber alles wird gut.

Text: Susanne Lepke
Fotos: Susanne Lepke, Marco Haase, Brigitte Grantzow