Hurra, sie spielen wieder Fußball! Turbine Potsdam gegen Bayern München

Spielbericht zum Bundesliga-Spiel Turbine Potsdam gegen Bayern München am 12.11.2017 – von Susi

Grau-trübes Sonntagswetter, kühle 7 Grad, Glühwein-Angebot für 3€. Blaue Fahnen flattern auf der Stehtribünenseite im Novemberwind, das Turbinchen-Maskottchen trottet über den Rasen. Die Fernsehkameras stehen bereit, vom RBB und vonTelekom Sport. Es ist 13.35 Uhr – eine ungewöhnliche Anstoßzweit für das Spitzenspiel zwischen Potsdam und München, eine Idee der Fernsehsender.

Bayrische Ausschmückung

Gut 1.800 Zuschauende hat es trotz der kühlen Temperaturen ins „Karli“ gezogen, echte Fans eben. Dazu gehören auch die rötlichen Besucher aus den Bayern-Hochburgen Mahlow und der Spreeregion, die hinterm Tor Stellung genommen haben. Alle anderen Frauenfußballinteressierte hat es auf der kuscheligen Couch vor dem heimischen Fernseher festgesogen.
Nach fünf Unentschieden in Folge galt es nun, diese unzufrieden machende Serie zu durchbrechen. Erst recht nach dem vorangegangenen Spiel gegen die SG Essen, das ein grottenschlechtes Gekicke darstellte, musste eine Wiedergutmachung her.
Nun waren also die Mädels aus München zu Gast, die irgendwie allesamt 20 cm größer und 20 cm breiter als die Turbinen wirkten. Die Namen des bayrischen Kaders hatten halbwegs wissende FF-Fans allesamt schon mal gehört, ein beeindruckender Kader, trotz einiger verletzter Spielerinnen und vielen Abgängen nach der letzten Saison.
Das letzte Duell gegen Behringer und Co ging im Frühling diesen Jahres 0:4 verloren und stellt bis zum heutigen Tage auch die letzte Niederlage für Turbine Potsdam dar. Seitdem spielen die Turbinen unentschieden oder gewinnen ganz selten auch mal.
Nachdem die Co-Trainerin Josephine Schlanke (aus Versehen) ihren Handschuh aufs Spielfeld geworfen hatte, entfachte sich das Duell gegen Bayern München. In den ersten 20 Minuten entspann sich dieses Duell leider nicht auf Augenhöhe, den Bayern stand, Bayern spielte, Bayern bestimmte. Und weil das so war, zeigte die Schiedsrichterin In der 8. Minute auf den Elfmeterpunkt. Behringer zog unbeeindruckt ab, das bedeutete die Führung für die bayrischen Damen. Traurig – aber wahr.
Eine Pfostenknaller-Antwort wenige Minuten später durch Tabea Kemme ließ den Potsdamer Trotz etwas erahnen, der sich ab der 20. Minute zu entwickeln begann. Die Potsdamerinnen fanden nun zunehmend besser ins Spiel, nahmen die Zweikämpfe gezielter an und standen im Mittelfeld besser.
Die Mannschaftsaufstellung ähnelte der vorangegangenen gegen die SG Essen. Es gab nur zwei Unterschiede: Zum einen Sarah Zadrazil und zum anderen Rahel Kiwic, die 1,85cm große Abwehrspielerin, die den Bayern-Damen auf Augenhöhe begegnen oder gar überflügeln sollte. Viktoria Schwalm, die Nr. 17, gehörte wie in Essen zur Startelf. Insebsondere Schwalm und Kiwic nutzten die Chance und das entgegengebrachte Vertrauen dermaßen „schamlos“ aus, dass einem beim Zuschauen fast der Mund offenstehen blieb. „Tory“ Schwalm, die erst in den letzten 10 Minuten ausgewechselt wurde, erhielt nach dem Schlusspfiff den Preis für die beste Spielerin der Partie. Und Rahel Kiwic trug sich nicht nur in der 52. Minute in die Torschützinnen-Liste ein, sondern kandidiert aktuell auf der DFB-Vorschlagsliste für die „Beste Spielerin des Spieltages“. Also bitte hier bis zum 16.11.17 voten!
Aber nicht nur diese beiden Spielerinnen lösten Begeisterung aus, sondern ganz besonders mit dem Start in die 2. Halbzeit verwandelte sich das „Karli“ in einen „Hexenkessel“. Emotionen pur, lautstarkes Angefeuere, Atemlosigkeit, Herzgekaspere! Die Turbinen spielten tatsächlich mal wieder Fußball! Fulminanten Fußball! Fast die gesamte zweite Halbzeit wurde nur in einer Hälfte gespielt. Soweit, wie die bayrische von der brandenburgischen Landeshauptstadt entfernt ist, soweit war auch das Torgehäuse für die Gäste entfernt. Auf einmal lief der Ball, eine teilweise gewitztes Kurzpassspiel mit dem Drang zum Tor, eine Chance reihte sich an die nächste. Brisante Spielminuten, ein Augenschmaus, der mit einem Pfostenknaller durch Kiwic garniert wurde.
Und Thomas Wörle verließ immer häufiger seine Coachingszone, um die vierte Schiedsrichterin in ein brüllendes und gestenreiches Gespräch zu verwickeln. Aber der runde Gegenstand an sich, dieser Fußball, der surfte auf der Welle der Zuschauerbegeisterung immer fein in Richtung gegnerisches Tor.
Und dann?

Elfmeter für Bayern

In einem kurzem Moment der aufkeimenden Erinnerung, dass es noch ein zweites Torgehäuse gab, welches es mal wieder zu besichtigen galt, machte sie Fridolina Rolfö auf den Weg und nutze die einsame Chance der Bayern nach gut 25 Minuten gespielter zweiter Halbzeit zum erfolgreichen Einnetzen. Ein Tor aus dem Nichts, die Führung erschien hochgradig ungerecht – wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Aber gesichtslos zeigten sich die Turbinen daraufhin nicht. Kampf stand an, mannschaftliche Geschlossenheit, Spaß am Fußball, spielerische Ideen und weiterhin dieser ungemeine Drang zum Tor. Wie Wibke Meister in der Halbzeitpause als interviewte Turbine_Experin vor der RBB-Kamera wissend vermeldete: „Wer nicht aufs Tor schießt, schießt keine Tore.“ Kluges Mädchen😊
Sie präsentierte im Interview souveräne Äußerungen vor der Kamera, denen man gern lauschte. Dank an dieser Stelle auch dem RBB für die mediale Gestaltung der Halbzeitpause. Auf anderweitige Verbraucher- oder Programmhinweise wurde verzichtet, die gesamte 15-minütige Sendezeit wurde für Informationen rund um den Potsdamer Frauenfußball genutzt: für ein Interview mit Wibke Meister und Matthias Rudolph (Aufzeichnung), für die Analyse von Spielszenen aus der 1. Halbzeit sowie für den filmischen (Rück-) Blick auf die Nationalspielerinnen Tabea Kemme und Svenja Huth. Somit wurde der besondere Charakter des Frauenfußballs bedient, nämlich der totale Fokus auf den Sport an sich.
Doch zurück zum Spiel:
Nach diesem gnadenlos effektiven Torschuss der bayrischen Mädels in der 72. Minute, der zum zweiten Mal ein Rückstand für die Turbinen bedeutete, spielten unsere Mädels unbeirrt weiter. Auch die Fans ließen nicht locker. Und die Karten der Schiedsrichterin in zweifarbiger Ausführung saßen jetzt lockerer. Nach vielen unbestraften Fouls – auf beiden Seiten – zückte die Schiedsrichterin 10 Minuten später sogar die rote Karte gegen Verena Faißt, die Svenja Huth auf dem Weg zum Torabschluss unsanft foulte. Ein zentraler Freistoß folgte, von der 17-jährigen Gina Chmielinski ausgeführt, die sich (bewusst?) rotzfrech zeigte. Schuss mit rechts gegen die Mauer, Abpraller, langer Schuss mit links in Richtung Tor – Abpraller am linken Pfosten – Toooor! Genial, glücklich, hochverdient, dieser Unentschieden-Stand in der 82. Minute.
Und die Turbinen wie die Zuschauenden spürten: Da ging noch was. Das roch nach Sieg! Die Schiedsrichterin pfiff nun jedes „Foulchen“ im bayrischen Strafraum, ein Freistoß folgte dem nächsten – doch es gelang leiderleiderleider nichts mehr, was sich „Tor!“ nennen durfte.
Trotzdem: Nach dem letzten Spielberichts-Gemecker über das fünfte Unentschieden schwingt jetzt ein überschwängliches Gelobe für das sechste Unentschieden auf in den Potsdamer Himmel. Das war ein sehenswertes Fußballspiel! Da ließ es sich selbst der Ex-Trainer Bernd Schröder nicht nehmen, mal wieder den Karli-Rasen zu betreten, um dem Fanblock ein „Die Mädels haben gut gespielt!“ zuzurufen.
Die Blutblase aufgrund der Trommelei befindet sich im Heilungsprozess, die eine oder andere heisere Stimme erholt sich, der Herzrhythmus bewegt sich wieder in gesunderen Abständen.
Danke, Mädels, für dieses Spiel! Auch wenn sich die Pünktchen-Addition in der Tabelle nicht belohnend auszahlt, ihr könnt sehr stolz auf eure gezeigte Leistung sein. Allen fünf Mannschaften, die derzeit über euch in der Tabelle stehen, habt ihr zwei Punkte abgenommen. Freiburg – gefühlter Sieg, Wolfsburg – glückseliges Unentschieden, Bayern – gefühlter Sieg, Frankfurt – gefühlter Sieg, Essen – ärgerliches Unentschieden.

In Köln wird am kommenden Wochenende ein Sieg gefeiert. Ganz bestimmt!

Text: Susanne Lepke
Fotos: Susanne Lepke